Im Englischen gibt es den äußerst passenden Ausdruck „thrown in at the deep end“. Der unbestreitbare Vorteil dieser „Methode“ besteht darin, dass man in kürzester Zeit weiss, ob der neue Mitarbeiter schwimmen kann oder ertrinkt. Es muss allerdings nicht immer ein Vorteil für das Unternehmen sein, wenn alle, die nicht sofort schwimmen können, sofort ertrinken.
Im Aquarium liegt es in der Natur der Insassen, dass sie schwimmen können. Und dennoch brauchen sie eine Eingewöhnungszeit. Fische müssen sich langsam an die chemische Zusammensetzung des Wassers (Härte, Säure etc.) und die Temperatur gewöhnen. Im Normalfall geht das binnen einer halben Stunde, unter weniger idealen Bedingungen kann es auch Tage dauern. Aber auch das soziale Umfeld und die fremde Umgebung können Stress verursachen, auf den die Neuankömmlinge mit Aggressivität, mit Angst oder Futterverweigerung reagieren können. Auf keinen Fall darf man in dieser Phase normales Verhalten erwarten.
Neue Pflanzen sind diesbezüglich noch anspruchsvoller. Zwar reagieren sie viel weniger empfindlich auf unterschiedliche Wassertemperatur und -chemie, dafür leiden sie über Tage oder Wochen an den veränderten Lichtverhältnissen. Wenn es ihnen gar nicht passt, verkümmern oder veralgen sie. Hinzu kommt, dass sie sich ihren Standort nicht aussuchen können.
Womit wir wieder bei unseren neuen Mitarbeitern sind. Auch sie können sich in der Regel ihre Rahmenbedingungen nicht aussuchen. Sie bekommen jenes Zimmer oder jenen Schreibtisch, den niemand sonst haben will, der also gerade frei ist. Sie übernehmen den alten PC ihres Vorgängers. Neue Möbel stehen nur den höheren Rängen zu. Zuerst müssen erste Ergebnisse geliefert werden, bevor sie Ansprüche stellen dürfen. Ausnahmen sind natürlich jene neuen Kollegen, die schon aufgrund ihres Namens ein gewisses Naheverhältnis zum Chef nicht leugnen können.
Die Unternehmenskultur, aber auch wichtige Unternehmensprozesse lernt der Neue meist im Selbststudium kennen. Kultur und Prozesse sind für die Alteingesessenen, insbesondere für Vorgesetzte längst selbstverständlich geworden und in „tacit knowledge“ übergegangen. Eine häufige Antwort auf die Frage nach dem WIE und WER lautet: „Ich habe das auch alles selbst herausfinden müssen. Mir hat das auch niemand gezeigt.“ Gemeint ist damit natürlich: „Mein Wissen ist meine Macht. Warum soll ausgerechnet ich diese mit jemandem teilen!“ Versuch und Irrtum als didaktisches Konzept waren vermutlich nur im Krabbelalter von ähnlicher Bedeutung.
Und noch ein Aspekt erscheint erwähnenswert: Der besonders vorsichtige Aquarianer hält neue Fische zuerst mehrere Wochen im Quarantänebecken unter Beobachtung, um sich bloss keine Krankheiten einzuschleppen. Im Unternehmen hingegen sind sich selbst überlassene Neulinge besonders gefährdet, sich mit dem Unternehmensvirus zu infizieren, der rasch zu Demotivation, innerer Kündigung oder in den Krankenstand führen kann.