Wenn die Großen die Kleinen fressen

Welcher Boss hat nicht gern den besten aller Bewerber. Aber kann das Unternehmen auch noch in einem Jahr die Rahmenbedingungen bieten, die ein Highpotential für eine gesunde Entwicklung braucht? Was tun, wenn sich ein Mitarbeiter über alle Erwartungen entwickelt?

Der Skalar wird bis zu 15 cm groß und hat dann einen entsprechenden Appetit. Wenn er beginnt, die kleinen Fische wie Neons, die es ja in jedem Gesellschaftsbecken auch gibt, zu verspeisen, dauert es nicht mehr lange, bis sich der Boss von seinem Favoriten um sein Investment gebracht fühlt. Davon abgesehen fühlen andere Beckengenossen sich nicht unbedingt zu Höchstleistungen angespornt, sondern vielmehr in ihrer Existenz bedroht. Das schränkt wiederum ihre Produktivität ein.

Die Ursache für dysfunktionale Teams liegt allzu oft in Personalfehlentscheidungen, die außerhalb des Teams und vielleicht lange in der Vergangenheit getroffen wurden.

Grenzflächen

In den wenigsten Fällen kann der Aquarien-Manager physisch in seine Unterwasserwelt eintauchen. Vielmehr bleibt er aus diesem Wasserkörper, auf den sich doch sein ganzes Interesse bezieht, ausgesperrt. Nun sollte das nicht weiter schlimm sein, seit es Vollglas-Aquarien gibt. Im Gegenteil, kann man doch durch die Glaswand ebenso gut sehen wie durch das Wasser, ohne dabei nass zu werden. Allerdings vergisst man leicht, dass man durch Grenzflächen zwischen Luft-Glas und Glas-Wasser in sein System blickt. So ist es schwierig, Abstände (zwischen zu setzenden Pflanzen, zur Vorderwand usw.) oder auch den Anstieg des Bodengrundes richtig einzuschätzen, egal aus welchem Winkel man hineinschaut.

Daraus lernen wir vor allem eins: Nichts ist exakt so, wie es von außen erscheint. Vieles stellt sich einem Außenstehenden grundsätzlich anders dar, selbst wenn sich dieser gar nicht als außenstehend begreift. Unsichtbare Grenzen zwischen Abteilungen, Teams oder Stockwerken können den Blick eines Managers stärker verzerren oder trüben, als es die Lichtbrechung an der Aquarien-Wand vermag.

Wie lange werden Ihre neuen Mitarbeiter eingeschult?

Im Englischen gibt es den äußerst passenden Ausdruck „thrown in at the deep end“. Der unbestreitbare Vorteil dieser „Methode“ besteht darin, dass man in kürzester Zeit weiss, ob der neue Mitarbeiter schwimmen kann oder ertrinkt. Es muss allerdings nicht immer ein Vorteil für das Unternehmen sein, wenn alle, die nicht sofort schwimmen können, sofort ertrinken.

Im Aquarium liegt es in der Natur der Insassen, dass sie schwimmen können. Und dennoch brauchen sie eine Eingewöhnungszeit. Fische müssen sich langsam an die chemische Zusammensetzung des Wassers (Härte, Säure etc.) und die Temperatur gewöhnen. Im Normalfall geht das binnen einer halben Stunde, unter weniger idealen Bedingungen kann es auch Tage dauern. Aber auch das soziale Umfeld und die fremde Umgebung können Stress verursachen, auf den die Neuankömmlinge mit Aggressivität, mit Angst oder Futterverweigerung reagieren können. Auf keinen Fall darf man in dieser Phase normales Verhalten erwarten.

Neue Pflanzen sind diesbezüglich noch anspruchsvoller. Zwar reagieren sie viel weniger empfindlich auf unterschiedliche Wassertemperatur und -chemie, dafür leiden sie über Tage oder Wochen an den veränderten Lichtverhältnissen. Wenn es ihnen gar nicht passt, verkümmern oder veralgen sie. Hinzu kommt, dass sie sich ihren Standort nicht aussuchen können.

Womit wir wieder bei unseren neuen Mitarbeitern sind. Auch sie können sich in der Regel ihre Rahmenbedingungen nicht aussuchen. Sie bekommen jenes Zimmer oder jenen Schreibtisch, den niemand sonst haben will, der also gerade frei ist. Sie übernehmen den alten PC ihres Vorgängers. Neue Möbel stehen nur den höheren Rängen zu. Zuerst müssen erste Ergebnisse geliefert werden, bevor sie Ansprüche stellen dürfen. Ausnahmen sind natürlich jene neuen Kollegen, die schon aufgrund ihres Namens ein gewisses Naheverhältnis zum Chef nicht leugnen können.

Die Unternehmenskultur, aber auch wichtige Unternehmensprozesse lernt der Neue meist im Selbststudium kennen. Kultur und Prozesse sind für die Alteingesessenen, insbesondere für Vorgesetzte längst selbstverständlich geworden und in „tacit knowledge“ übergegangen. Eine häufige Antwort auf die Frage nach dem WIE und WER lautet: „Ich habe das auch alles selbst herausfinden müssen. Mir hat das auch niemand gezeigt.“ Gemeint ist damit natürlich: „Mein Wissen ist meine Macht. Warum soll ausgerechnet ich diese mit jemandem teilen!“ Versuch und Irrtum als didaktisches Konzept waren vermutlich nur im Krabbelalter von ähnlicher Bedeutung.

Und noch ein Aspekt erscheint erwähnenswert: Der besonders vorsichtige Aquarianer hält neue Fische zuerst mehrere Wochen im Quarantänebecken unter Beobachtung, um sich bloss keine Krankheiten einzuschleppen. Im Unternehmen hingegen sind sich selbst überlassene Neulinge besonders gefährdet, sich mit dem Unternehmensvirus zu infizieren, der rasch zu Demotivation, innerer Kündigung oder in den Krankenstand führen kann.

Die Irrenhaus-Ordnung: Die (un)heimlichen Regeln deutscher Unternehmen

Man muss ein Unternehmen nicht unbedingt wie ein Aquarium führen; Man kann es auch wie ein Irrenhaus führen.

Leseprobe aus der Irrenhaus-Ordnung (Spiegel, 18. Oktober 2012):
§ 4: Der Inhalt einer Mitarbeiterzeitung hat mit der Meinung der Mitarbeiter so viel zu tun wie der Inhalt einer Fischsuppe mit den Interessen der Fische.

Alles ruhig

70 Insassen im Tank und keine Beschwerden – das sollte einem doch zu denken geben!

Dennoch ist es, wie es ist: Es gibt keine Krankenstände. Der letzte hat sich mit dem Tod des Hyphessobrycon (Phantomsalmler) erledigt. Es gibt auch keine sexuellen Belästigungen mehr, allerdings auch keinen Nachwuchs. Zwei Panda-Welse (Corydoras panda) turteln zwar heftig. Doch dürfte es nichts Ernstes zwischen den beiden sein. Der schöne Betta splendens (Siamesischer Kampffisch) lebt nach wie vor allein. Es ist zwar nicht feststellbar, ob ihm das gefällt. Seine gelegentlichen Annäherungsversuche an Neonsalmler sind jedenfalls erfolglos. Oder ist es umgekehrt? Mehrere Neonsalmler nähern sich gleichzeitig von hinten. Wenn sie ihm zu nahe kommen, schägt der Betta einen Haken und versucht, wenigstens einen von ihnen zu erwischen. Jedoch ohne Aussicht auf Erfolg, da er viel zu langsam ist. Sein ideales Umfeld ist die verkrautete Ecke im hinteren Bereich des Aquariums, wo er sich gekonnt durch das Dickicht aus Vallisnerien schlängelt, ein Bereich, in den sich noch kein Neonsalmler hineingewagt hat.

Derzeit läuft gerade ein Versuch, Moose (Vesicularia dubyana Christmas) anzusiedeln. Erste Versuche mit Aufbinden auf einen Stein und auf Filterschaumstoff sind misslungen. Der Stein lag im lichtschwachen Bereich, sodass das Moos rasch vergammelt ist. Dafür sind auf dem Filterschwamm (im oberen Bereich der Rückwand befestigt) bald die Faden- und Blaualgen gewachsen, nicht aber das Moos. Die letzten verbliebenen Moos-Ästchen sind nun auf einer Holzwurzel aufgebunden, die zwischen den Vallisnerien steht. Der Schatten der Vallisnerien soll die Algen abhalten. Ob es dem Moos wieder zu finster ist? Manche Neuzugänge haben halt sehr lange Einarbeitungs-/gewöhnungszeiten – wie im richtigen Leben auch.